Warum der Pearl-Index nicht das Maß aller Dinge ist

Übereinandergeschlagene, nackte Beine und eine auf dem rechten Oberschenkel ruhende Hand, die eine Perlenkette hält. Dies symbolisiert, rein scherzhaft, den Pearl-Index, das bekannteste statistische Maß für Verhütungessicherheit. Foto von Gilbert Be…

Der Pearl-Index ist das bekannteste statistische Maß für Verhütungssicherheit. Was er aussagt und wo seine Grenzen liegen, erkläre ich in diesem Überblick.


Ich wette, der folgende Satz kommt euch bekannt vor: “Die Pille ist das sicherste Verhütungsmittel.” Diverse Frauenärzt*innen argumentierten im Laufen meines (sexuell aktiven) Lebens so. Als ich einmal bei einem Ersttermin angab, dass ich zur Verhütung Kondome nutzte, sah mich die Gynäkologin an, als hätte ich “Scheidenspülungen mit Coca-Cola” gesagt. “Sie verhüten NUR MIT KONDOMEN???” Ich fand und finde, dass das eigentlich eine ziemlich gute Wahl ist. Doch die Frauenärztin vertrat die Meinung hormonfrei = unsicher. Womöglich orientierte sie sich dabei auch am Pearl-Index, der bei der Pille ziemlich gut aussieht - zumindest auf den ersten Blick. Schauen wir uns das einmal genauer an.

Was ist der Pearl-Index (PI)?

Der Name hat nichts mit seltenen Perlen zu tun, sondern kommt vom US-amerikanischen Biologen Raymond Pearl, der den PI im Jahr 1933 als statistisches Maß einführte. Er entspricht der Anzahl der ungeplanten Schwangerschaften je 100 Frauen, die ein Jahr lang die gleiche Verhütungsmethode anwenden. Werden also 2 von 100 Frauen schwanger, beträgt der Pearl-Index 2. Inzwischen wird in einigen Quellen auch die Sicherheit angegeben, in dem Fall wären das 98%. Bei einem Pearl-Index von 0,3 werden nur 3 von 1000 Frauen schwanger, die Sicherheit beträgt dann 99,7 %. Klingt sinnvoll - und in der Tat bietet die Pearl-Index einen ersten Anhaltspunkt. Allerdings ist seine Aussagekraft aus mehreren Gründen ziemlich begrenzt und sollte daher nicht der einzige, ja nicht einmal der wichtigste Grund für die Wahl der Verhütung sein. Das Hauptproblem: Es gibt keine verbindlichen Grundlagen für Studien, die den Pearl-Index einer Verhütungsmethode ermitteln. Das schlägt sich vor allem in folgenden Faktoren nieder:

Dauer der Studie

Manche Studien gehen über sechs Monate, manche über mehrere Jahre hinweg. Bei längeren Studien nimmt die Anzahl ungeplanter Schwangerschaftsraten oft ab: Anwendungsfehler bei Teilnehmer*innen passieren eher in der Anfangszeit, es wird vermutet, dass die Fehlerrate mit mehr Übung sinkt. Dadurch kann der Pearl-Index kleiner (also “besser”) werden, je länger eine Studie dauert.

Anzahl der Teilnehmenden

Auch diese ist nicht vorgeschrieben. Generell führt eine größere Stichprobe zu einem genaueren Ergebnis, wenn die Daten nicht verzerrt sind. Doch Verhütungsstudien mit wenigen hundert Personen gibt es genauso wie mit zehntausenden Proband innen. Das heißt nicht, dass kleine Studien per se schlecht sind, doch die jeweilig ermittelten Pearl-Indizes sind bei solch unterschiedlichen Bedingungen nicht vergleichbar.

Alter, Häufigkeit des Geschlechtsverkehrs und weitere Charakteristiken

Die Alterszusammensetzung der Proband*innen kann ebenfalls variieren. Was generell nicht überprüft werden kann: Wie oft die Teilnehmenden denn nun tatsächlich penetrativen Sex haben. Die Gefahr einer Panne ist natürlich seltener, wenn man nur alle paar Monate miteinander schläft, als wenn es täglich zur Sache geht. 

Gebrauchssicherheit vs. Methodensicherheit

Und es wird noch ein bisschen komplizierter: Wenn man sich auf offiziellen Seiten wie profamilia  oder bzgA informiert, stößt man oft auf eine Bandbreite von Pearl-Indizes. So wird beispielsweise beim Kondom ein Pearl-Index von 2-12 angegeben. 

Das liegt daran, dass man bei Verhütungsmitteln zwischen Methodensicherheit und Gebrauchssicherheit unterscheidet. Die Methodensicherheit beziffert, wie oft es zu einer ungeplanten Schwangerschaft kommt, obwohl man alles richtig gemacht hat. Bei der Gebrauchssicherheit hingegen sind Anwenderfehler mit einkalkuliert - also auch das Vergessen der Pille oder unzureichende Kondomnutzung.

Was bleibt einem also außer dem Pearl-Index noch übrig?

Bevor man ein Verhütungsmittel wählt, ist es hilfreich, sich selbst und die eigene Situation zu hinterfragen. Bin ich eher vergesslich oder ist es kein Problem, täglich an die Methode zu denken und auf Störfaktoren zu achten? Sind mein*e Partner*in(nen) und ich auf sexuell übertragbare Infektionen getestet? Haben ich oder meine Verwandten Vorerkrankungen, aufgrund derer manche Methoden für mich ein besonderes Risiko darstellen könnten? Möchte ich meinen natürlichen Zyklus beibehalten oder ihn vielleicht sogar loswerden?

Ich habe mich damals bei der Ärztin übrigens nicht beirren lassen. Schließlich wollte ich mich sowohl vor Krankheiten als auch einer Schwangerschaft schützen und traute mir das mit korrekter und konsequenter Kondomnutzung auch zu. Später entdeckte ich dann noch das Diaphragma, das Femidom und die symptothermale Methode, aber das ist wieder ein anderes Thema…

Fest steht: Wir müssen den Zyklus nicht ausschalten, um sicher zu verhüten. Im Zusammenhang mit der Pille wird meist der Pearl-Index der Methodensicherheit zwischen 0, 1 und 1 angegeben. In Bezug auf die Gebrauchssicherheit beträgt er allerdings etwa 3-9. Natürlich kann man trotzdem zum Schluss kommen, dass es für eine*n persönlich die beste Option ist. Hauptsache, man wägt dabei mehr ab als ein statistisches Maß, das die Realität nicht ausreichend abbilden kann.

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Gesundheit, Kinderwunsch, Verhütung: Zykluswissen als Lifehack

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