Men(s)t(ru)al Health: Was unser Zyklus mit psychischer Gesundheit zu tun hat

Am 10. Oktober war Welttag der psychischen Gesundheit. Zeit, über dieses Tabuthema zu sprechen und gleichzeitig ein weiteres anzugehen: Unseren Zyklus. Denn für viele Menstruierende sind mental health und menstrual health untrennbar miteinander verbunden.

Ich sah es wie eine dunkle, hohe Welle auf mich zurollen. Genau, wie wenn ich den Ausbruch einer körperlichen Infektion spürte. Es war Anfang Dezember, ich saß in einer Stadt, die mir nicht gefiel, in einer WG, in der sich niemand für mich interessierte und merkte, dass meine Psyche nicht mehr lange standhalten würde. Gleichzeitig spürte ich, dass meine Periode kurz bevorstand. Die prämenstruelle Phase war nicht Ursache, aber Verstärkerin meiner Verfassung.

An meine eintretende Periode erinnere ich mich nur noch dunkel. Eingebrannt hat sich mir stattdessen, wie es mir in den folgenden Wochen psychisch ging: Ich konnte meinen Alltag nicht mehr bewältigen, nicht mehr in die Uni, mich nicht mehr mit Bekannten treffen. Ich lag hauptsächlich da und hoffte, dass die Zeit vorbei ging. Und doch schaffte ich eines: Mir professionelle Hilfe zu suchen.

Dass es mir immer noch schwerfällt, über diese Episode zu schreiben und ich nicht zu sehr ins Detail gehe, zeigt mir, wie tabuisiert das Thema psychische Gesundheit bzw. Krisen und Erkrankungen noch ist. Seit Jahren schreibe ich über Zyklus und Menstruation - ebenfalls ein Tabuthema. Beide passen nicht zum vorherrschenden kapitalistischen Bild, wir sollten jeden Tag gleich funktionieren und gleich produktiv sein.

Was heißt Zyklusgesundheit genau?

Die WHO definiert Gesundheit als einen Zustand „vollständigen körperlichen, seelischen und sozialen Wohlbefindens und nicht nur das Freisein von Krankheit oder Gebrechen.“ Psychische Gesundheit bedeutet dementsprechend viel mehr als die Abwesenheit einer psychischen Erkrankung oder Störung. Und menstruelle Gesundheit bzw. Zyklusgesundheit heißt nicht nur, dass wir schmerzfrei sind, sondern, dass es uns in Bezug auf den Menstruationszyklus rundum gut geht.

Davon sind viele Menstruierende jedoch weit entfernt. Einerseits, weil etwa 80 Prozent bereits Periodenschmerzen erlebt haben, zehn bis 20 Prozent von ihnen so heftig, dass ihr Alltag davon eingeschränkt wird. Andererseits, weil mit dem Zyklus zusammenhängende Beschwerden, seien sie physisch oder psychisch, gesellschaftlich kaum anerkannt werden. Da verwundert es kaum, dass in einer Umfrage* von CHICA CON CICLO 58 Prozent folgende Aussage bejahten: „Vor der Periode bin ich sehr empfindlich. Ich versuche das aber zu verbergen."

Was passiert jedoch, wenn man versucht, diese Sensibilität wegzubügeln? Der Stress wird größer, man passt die Umstände nicht an, es geht noch schlechter. Bei vielen Frauen und Menschen mit Zyklus entsteht dadurch ein regelrechter Hass auf den Zyklus und auch auf sich selbst: Wegen der „doofen Hormone” war man aufbrausend oder konnte im Meeting nicht ruhig bleiben. Dabei darf hier, ja muss sogar gefragt werden: Ist der Zyklus das Problem oder die Gesellschaft, die ihn ignoriert?

Um diese Frage differenziert und ernsthaft zu beantworten, sehen wir uns zwei Szenarien an: Zyklische Schwankungen im Normalbereich, auf die man achtsam eingehen kann, und Zyklusstörungen/-erkrankungen, die medizinischer Hilfe bedürfen.

So entwickelt sich unsere psychische Verfassung im Verlauf des Zyklus

Oft denkt man beim Wort „Zyklus” lediglich an die Menstruation, doch insgesamt kann man vier Phasen unterscheiden.

  1. Die Menstruationsphase, mit deren Eintritt ein neuer Zyklus beginnt. Die Hormonspiegel sind niedrig, oft ist ein Bedürfnis nach Ruhe spürbar.

  2. Der zweite Teil der Follikelphase (die Menstruation ist auch Teil von ihr, wird aber gesondert benannt), in der der Östrogenspiegel steigt und damit oft die Energie und Stimmung.

  3. Die Eisprungphase, also die Tage nahe des Eisprungs, wo Östrogene und Testosteron einen Höhepunkt erreichen. Viele fühlen sich in diesen Tagen besonders kommunikativ, energiegeladen und mutig.

  4. Die Lutealphase nach dem Eisprung und vor der Menstruation: Der Östrogenspiegel fällt wieder ab, dafür steigt Progesteron an. Ein Hormon, das eher ruhig und kuschelig macht und den Schlaf fördert.

Negative Verstimmungen sind kein Bestandteil des Zyklus’, mit denen wir uns abfinden müssen, sondern oft eine Reaktion darauf, dass ein Bedürfnis - z.B. nach Rückzug und Ruhe - nicht erfüllt werden kann. Beim obigen Beispiel mit dem Meeting könnte man z.B. hinterfragen: Wäre das Ganze vielleicht friedlich verlaufen, wenn man in Jogginghose und Wärmflasche im Home Office gesessen wäre, statt in unbequemer Hose vor Ort performen zu müssen?

Erkrankungen, die mit dem Zyklus zusammenhängen, sind behandlungsbedürftig

Klar davon abzugrenzen ist allerdings Folgendes: Wenn Frauen bzw. Menschen mit Zyklus regelmäßig in der Lutealphase in ein psychisches Tief fallen, das sie unabhängig von den weiteren Umständen stark belastet und u.a. starke Aggressionen, Lethargie, oder gar suizidale Gedanken mit sich bringt. Hier muss die Verbindung der psychischen Probleme mit dem zyklischen Ablauf unbedingt ernst genommen und berücksichtigt werden. Mit Achtsamkeit und Anpassung der Umstände ist es dann nicht getan, sondern medizinische Beratung nötig. Es könnte sich um PMDS handeln: Die Prämenstruelle Dysphorische Störung betrifft etwa drei bis acht Prozent der Menstruierenden und äußert sich in starken psychischen Symptomen, gilt aber als endokrinologische Erkrankung. Wird hier das zyklische Auftreten der Episoden außer Acht gelassen, kann es zu Fehldiagnosen kommen.

Der Zyklus selbst ist ein gesunder Prozess

Natürlich liegt zwischen diesen beiden Szenarien ein Spektrum und viele Facetten. Klar ist jedenfalls: Zyklusstörungen wirken sich auf unsere psychische und körperliche Gesundheit aus. Gleichzeitig ist Stress einer der Hauptursachen für Zyklusstörungen. Der Zyklus an sich ist übrigens ein wichtiger, gesunder Prozess - nämlich die Produktion wichtiger Hormone. Sind sie ausreichend vorhanden und im Gleichgewicht, sorgt  das Wechselspiel zwischen Östrogenen und Progesteron für eine gute Knochendichte, reguliert den Blutzuckerspiegel und psychisches Wohlbefinden. Das dominierende Hormon der 2. Zyklusphase, Progesteron, ist auch nichts Schlechtes. Schon mehrmals las ich die Fehlinformation, miese Stimmung vor der Periode käme „vom Progesteron”. Die Wahrheit ist, dass solche Stimmungsprobleme mit einem Progesteronmangel zusammenhängen können. Genau, wie eine erektile Dysfunktion nicht „vom Testosteron” kommt, sondern mit einem Testosteronmangel zusammenhängen kann.*

Wie können wir also gesünder mit Zyklus und Psyche umgehen?

  • Achtsamkeit (Mindfulness): Eine freundlich-wohlwollende Wahrnehmung der zyklischen Schwankungen ist ein großer Schritt. Versuche, urteilsfrei wahrzunehmen und dokumentiere es nach Belieben in einer App oder einem Kalender - beispielsweise mit einer täglichen Stimmungsskala von 0 bis 10, einem Adjektiv oder Emoji. Achtsamkeitsübungen, Meditationen und das Vier-Jahreszeiten-Modell helfen ebenfalls.

  • Anpassung deines Alltags: Finde heraus, was dir in den einzelnen Zyklusphasen gut gelingt und Spaß macht. Vielleicht stellst du fest, dass du dich kurz vor der Periode gut in Büchern vergraben und dir neue Themen aneignen kannst - gerade, weil du keine Lust hast, nach außen zu kommunizieren. Oder du merkst, wie du dank prämenstrueller Ungeduld blitzschnell filterst, wer etwas Wichtiges mitzuteilen hat und wer herumlabert.

  • Zyklusbeobachtung: Um Hinweise auf ein mögliches hormonelles Ungleichgewicht zu erhalten und gesundheitliche Warnzeichen zu erkennen, ist eine akkurate Beobachtung und Dokumentation deiner Körperzeichen extrem aufschlussreich. Temperaturmessung, Zervixschleimbeobachtung und die Dauer und Stärke deiner Blutungen gehören zu den wichtigsten.

  • Je besser du dich kennenlernst und deine Umstände anpasst, desto mehr merkst du, welche Schwankungen dazugehören und bei welchen der Leidensdruck zu hoch ist. Wenn du regelmäßig in der 2. Zyklusphase nach dem Eisprung in ein psychisches Tief fällst, gegen das du dich machtlos fühlst, such dir dringend kompetente ärztliche Beratung, am besten von einer gynäkologischen Endokrinologin.

Schon bei der oben erwähnten Krise vor vielen Jahren erkannte ich einen wichtigen Zusammenhang meiner psychischen und zyklischen Verfassung - heute dient mir mein Zyklus regelrecht als Kompass meines Wohlbefindens und meiner Gesundheit. Zweifelnde Gedanken, Genervtheit oder traurige Grundstimmung treten manchmal klar im Zusammenhang mit meiner prämenstruellen Phase auf - gerade, wenn ich in den Wochen davor zu wenig Zeit für mich selbst hatte. Ich nehme diese schwierigen Emotionen dann freundlich-wohlwollend wahr, benenne sie und lasse sie weiterziehen. Ich sehe es auch als einen Check-In mit meinen unterbewussten Ängsten. Wenn hingegen eine Krise unabhängig vom Zyklus auftritt, merke ich, dass es ernst ist. Und tritt eine zyklus-unspezifische Krise zufällig in der Lutealphase auf (wie ich zu Beginn des Textes erzähle), achte ich auf besonders viel Unterstützung und Selfcare.

Eins ist sicher: Wir alle haben mental health und menstrual health verdient. Wir brauchen sie - für uns selbst und für die Gesellschaft. 


*Die Umfrage war nicht repräsentativ - ich vermute, dass hier eher eine Leser*innenschaft teilgenommen hat, die tendenziell offener mit dem Thema umgeht, als gesamtgesellschaftlich der Fall ist.

**Sowohl Stimmungstiefs vor der Periode als auch Erektionsstörungen können viele verschiedene Ursachen haben.

***Meditationen können bei einigen psychischen Problemen kontraindiziert, also nicht empfehlenswert sein! Achte auf dich und sprich es mit Ärzt*in oder Therapeut*in ab.




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Frauen*heldin: Menerva Hammad